Tirolerhuhn

Spitzhauben

Verbreitung

Die Spitzhauben-Hühner waren seit Jahrhunderten in grösseren Teilen des zentralen und östlichen Alpenraumes verbreitet (siehe Verbreitungskarte). Sie sollen schon im 15. Jahrhundert in Klöstern gezüchtet worden sein (u.a. in Salzburg). Bestätigt wurde dies durch den Archäozoologen Dr. Erich Pucher. Er fand in einer auf das 16. Jahrhundert hinweisenden Senkgrube eines Wirtshauses neben der Salzburger Residenz Knochenabfälle von Hühnern mit der für Haubenhühner typischen Protuberanz auf der Schädeldecke. Einen noch älteren Beleg für das Vorhandensein von Haubenhühnern im 13. Jahrhundert in der Zentralschweiz fand Dr. Hermann Zimmermann bei Untersuchungen von Haustierfunden in Hallwil.

Als Ende des 19. Jahrhunderts die Hühner-Rassen beschrieben wurden, suchten die Kenner erst im Tirol und im Bregenzerwald, dann in der Zentralschweiz, bis sie die Spitzhauben schliesslich nur noch im Schweizer Appenzellerland fanden. Die Schweizer Varietät der Spitzhauben wurde fortan "Appenzeller Spitzhauben" genannt. Auf der Alpensüdseite im italienischen Veneto hat ein anderer Restbestand der Spitzhauben überlebt, die heutigen Polverara-Hühner. Auch die Altsteirer in Österreich und Slowenien tragen noch Erbgut dieser früheren Haubenhühner. Die im Raum Tirol-Salzburg verbreitete Varietät, die Tirolerhühner, starben leider in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts aus. Spitzhauben kamen mit der Holzflösserei (Mitnahme von Ziegen und Hühnern) auf dem Rhein in die Niederlande und begründeten oder beeinflussten zumindest die Brabanter Hühner. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts gerieten die Spitzhauben auch in der Schweiz in Bedrängnis. Wie andere Landrassen konnten sie nicht gegen die neuen Hybriden konkurrieren. Die Bestände gingen dramatisch zurück, bis sich der Appenzeller-Huhn Club einsetzte. Um Inzuchtproblemen zu begegnen und die Leistung zu steigern, wurden verstärkt ausländische Rassen eingekreuzt. Dazu wurden vor allem Holländische Brakel, Hamburger Silberlack und La Flèche Hühner benutzt, in der Meinung, diese würden eh zu den Stammeltern der Spitzhauben gehören. Mit einigermassen rein verbliebenen Tieren wurde von ProSpecieRara Anfang der 80er-Jahre ein Erhaltungsprogramm aufgebaut, das der Inzuchtgefahr durch Verpaarung verschiedener Farbschläge innerhalb der Rasse und Rückzüchtung auf die Ursprungs-Farbschläge begegnete.

Polverara schwarzPolverara-Hahn schwarz

Ähnlich erging es den Polverara-Hühnern, die früher von Friaul bis zum Brenner verbreitet waren. Die erste bekannte Darstellung dieses Huhnes ist auf einem Fresko in der Kapelle von San Michele Arcangelo in Padua aus dem Jahr 1397. Über venezianische Handelsrouten sind die Polveraras auch in fremde Länder gekommen und haben die dortigen Hühnerrassen beeinflusst (Pawlowskaja, Sultan, Crève-Coeur, Brabanter etc.). Der Schweizer Naturforscher Conrad Gessner schrieb in seinem 1555 erschienen, vierbändigen Buch "Historia animalium", dass man viele gross und schön geborene Hühner aus dem Dorfe Pulverarie dem "Türckischen Keyser" (Sultan) geschickt habe. Offenbar hatte man in Polverara, einem Nachbarort von Padua, schon im 16. Jahrhundert die Spitzhauben der Umgebung zu wahren Grosshühnern herangezüchtet, was den Ruf der Tiere begründete und diesen den Namen des Ortes gab.

Im 18. Jahrhundert wurden in Frankreich aus Polveraras und anderen Haubenhühnern wahre Prachtsexemplare mit überbreiten Hauben erzüchtet und zur Ergötzung des Adels gehalten. Vor allem Madame de Pompadour soll sich an diesen Extrem-Züchtungen erfreut haben. Das Huhn wurde "Padou" genannt, sei das nun als Abkürzung für Pompadour oder Padua. Es kam im 19. Jahrhundert nach Padua und verdrängte das ursprüngliche Polverara. Das heutige Paduanerhuhn wird in Padua noch immer auch "Polish" genannt wegen der Einzüchtungen polnischer Hühner.

Die Polveraras wären Mitte des letzten Jahrhunderts fast ausgestorben. Dank dem Einsatz eines Bruno Rossetto ab 1954 blieben sie über 50 Jahre in kleiner Zahl erhalten. Am 28. Januar 2000 brachte eine Konferenz an der Polverara-Zucht Interessierter die Wende. Ein Erhaltungsplan wurde beschlossen und Beihilfen für die Züchter gesprochen. Beim Wiederaufbau der Rasse konnte auf den Reliktbestand von Bruno Rossetto zurückgegriffen werden. Unter Leitung von Prof. Gabriele Baldan wurde im Osservatorio Avicolo "Ugo Meloni", Padua, eine Nukleuszucht eingerichtet. 2012 stellte Bruno Rossetto (mittlerweile 84 Jahre alt) dem Tirolerhuhn-Projekt eine wertvolle Hahnen-Linie zur Verfügung.

(Zur Ausbreitung der Spitzhauben zu Beginn der Neuzeit siehe Download-Karte).

Quelle: Fundus Agri-Cultura Alpina

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